Ein Cirque du Soleil kündigt bereits im Vorjahr den Kartenverkauf für seine Gastspiele in Wien an. Mit einem Blick auf das bunte, provokant und gleichzeitig verträumt wirkende Plakat fällt mir Ariane Mnouchkine ein. Hat die nicht diesen Zirkus gegründet ? So wie André Heller 1975 den Circus Roncalli und 1981 Flic Flac ?
Nein, Ariane Mnouchkine hat mit dem Cirque du Soleil nichts zu tun – nicht viel jedenfalls.
Sie gründete 1964 das Théâtre du Soleil in Paris, als Kollektiv, bei dem Bühnenarbeiter das gleiche bezahlt bekommen wie die Leute auf der Bühne, bei dem das gemeinsame Erarbeiten von Aufführungen im Zentrum steht. Alle Beteiligten sind zum gleichen Teil Eigentümer des Unternehmens.
Der Cirque du Soleil wurde 1984 gegründet. Seine beiden Gründerväter wussten vom Théâtre du Soleil, das damals Welttourneen machte („Molière“ ein Film von Ariane Mnouchkine war z.B. 1978 für die Goldene Palme in Cannes vorgeschlagen). Ariane Mnouchkine ist eine politisch engagierte Frau, der es um universelle Menschenrechte und ein Zusammenwirken von verschiedenen Menschen auf Augenhöhe geht. Sie hat mit konkreten Aktionen ihre Bekanntheit dafür genutzt durch Hungerstreik oder Beherbergung von Verfolgten, politisch zu wirken: Richtung Anerkennung des gleichen Rechtes aller Menschen, z.B. auf die Sonne. Der Cirque du Soleil wurde von zwei Männern gegründet, die geschickt darin waren Gelder zu aquirieren. Heute ist er eine milliardenschwere Produktionsgesellschaft (geschätzte Jahreseinnahmen in 2017: 1 Milliarde US$) im Eigentum von Investoren aus China, Dubai, Kanada und anderswo. Der Cirque du Soleil ist kein Kollektiv, sondern eine hierarchisch organisierte Zirkusfabrik mit 4.900 abhängig bezahlten Menschen, festen Spielstätten (allein drei davon in Hotels in Las Vegas) und parallel laufenden Tourneebetrieben auf unterschiedlichen Kontinenten.
Das Théâtre du Soleil und der Cirque du Soleil erzeugen beide Unterhaltung. Wem gehört die Sonne? Rein marketingtechnisch gesprochen hat das Kollektiv um Ariane Mnouchkine die Marke „du Soleil“ entwickelt, und finanziell potentere Leute haben sie genutzt um Geld zu verdienen. Das ist nicht verboten.
Enrique Buenaventura, ein kolumbianischer Theaterschaffender, der mit der Methode creación collectiva Unterhaltung auf internationale Festivals gebracht hat, wurde (1987 in Cádiz / Spanien) gefragt „Warum arbeitest Du in einem Kollektiv?“ Buenaventura: „Ich kann NICHT sagen: „die Ergebnisse sind besser“, „wir arbeiten schneller“ oder „es ist billiger“. Aber es ist die Art und Weise wie ich mit Menschen umgehen, wie ich arbeiten möchte.“
Ob ich meine Zeit und mein Geld für Unterhaltung gebe, die mir Mut macht meine Realität zu verändern, ODER mir einen bunten Sandhaufen anbietet um meinen Kopf hineinzustecken, das kann ich mir jeden Tag mehrmals aussuchen.
So lange es Kollektive gibt.
Kommentar:
Das Téâtre du Soleil war ein wichtiger Impuls für mein Theaterschaffen, dass jetzt schon fast 40 Jahre alt ist. Zusammen mit allen unseres Kollektivs (!) saßen wir in einem kleinen Programmkino, direkt vor der Leinwand. „Moliere“, dieser Film begeistert mich heute noch. So wollten wir Theater machen, und so wollen wir heute noch Theater machen. Auch wenn wir heute nicht mehr auf einem Karren stehen, der vom Sturm auf eine Klippe hin gerollt wird. Und das Publikum läuft hinterdrein.
Heute sitzt das Publikum bei uns – meistens – auf bequemen Stühlen. Aber begeistert sind wir immernoch, wenn die Zuschauer*innen mit uns „mitgehen“.
Du hast recht, mein Lieber, ich stehe, sitze, liege lieber unter der Sonne von Ariane. Und weshalb? siehe oben: was Enrique Buenaventura gesagt hat.
Genau so sehe ich es auch nach 40 Jahren Theaterschaffens in einem Kollektiv.
Wens interessiert: http://www.chawwerusch.de
Vielen Dank für den wunderbaren Impuls von den zweierlei Sonnen.