Ich gehe heute nachts in Seniorenheim. Fast finde ich den Weg nicht. Mit all der Weihnachtsbeleuchtung, dem Glitzern und Funkeln fehlt mir die Orientierung. An das Seniorenheim selbst hat Meidner drei blinkende Rentiere mit Schlitten schrauben lassen – auf Augenhöhe. Ich bin erst einmal an dem Haus vorbei gegangen weil ich dachte es wär eine Tankstelle.
„Fat man is in da Haus“ schreit Dimitri als ich durch die Tür in den Speisesaal des Seniorenheims komme. Irgendwie fällt ihm nichts neues ein. Gedächtnistraining würde ihm gut tun.
Eine unglaublich dünne Frau im Rollstuhl kommt direkt auf mich zugerollt: „Wir backen heute schon den ganzen Tag. Joy hat in der Ergo-Stunde damit angefangen. Sie hat gesagt, dass Sie das mit uns fortsetzen.“
„Ich mach Gedächtnistraining mit Musik.“ sage ich.
„Das stört ja nicht beim Backen!“ ruft die Dünne und rollt wieder zu einem der Tische, um die sich ein weisser Kranz auf dem Boden gebildet hat. Eine Hand voll Alter knetet eine Masse und formt Gebilde, die Paco auf ein Blech sortiert und dann in die Küche bringt.
„Ist Nemuszáj schon da?“ ruft Olia aus der Küche.
„Er ist noch fetter geworden. Wir werden ihm nichts von unseren Keksen geben können.“ ruft Dimitri zurück.
Olia kommt mit einem Rollator, auf dessen Ladefläche sie ein scheinbar noch heisses Blech jongliert, in den Speisesaal. Die Küchentür knallt gegen das Blech, der Rollator knallt gegen die Küchentür.
Meidner steht wie aus dem Boden gewachsen im Raum: „Vorsicht mit den Türen und dem Mobiliar. In diesem Jahr bekommen wir keine neue Möblage und auch nicht im nächsten. Wir müssen etwas sparen. Nicht nur an den Heizkosten.“
Ich bemerke, dass die Alten, die nicht im Backen eingebunden sind, in Wintermänteln von der hintersten Ecke des Speisesaals aus winken. Ich gehe zu ihnen hinüber.
„Wir sind keine Christen!“ sagt einer mit Glatze. „Uns geht dieses Weihnachtsgetue unglaublich auf die Nerven. Nicht einmal hier drin haben wir unsere Ruhe.“
„Ja. Deshalb haben wir uns für heute ein unchristliches Lied von Ihnen gewünscht.“ röchelt seine Nachbarin, der ein Sauerstoffschlauch aus beiden Nasenlöchern führt: Laid Back, Bakerman is baking bread, 1989
„Die anderen haben ihre Kekse. Wir wollen unseren Spass.“
Dieser Frau kann ich auf keinen Fall widersprechen.
Also wische ich und lasse das Lied hören.
Bei „the night train is coming“ bewegt sich ein Zug aus Rollstühlen, Rollatoren und dem mobilen Sauerstoffgerät durch den Speisesaal. Einige Bakerman and Bakerwomen schliessen sich der Polonaise an.
Bis zum nächsten mal, eurer Miklós Nemuszáj
Endlich, nach einem Monat wieder das Neueste aus dem Seniorenheim! Mit Vergnügen gelesen!