Zwei Frauen falten sich
– Bewegt Altern
Über die Probenzeit des gleichnamigen, laufenden Stückes des Chawwerusch Theaters, das am 28. März 2025 Premiere hatte.
Ein Interview mit drei Kulturschaffenden als Puzzle aus drei Telefonaten am:
25. Februar 2025 um 17:00 Uhr mit Miriam Grimm (Darstellerin, Autorin)
4. März 2025 um 10:00 Uhr mit Liam Clancy (Regisseur, Choreograph, Feldenkrais Practitioner)
7. März 2025 um 20:00 Uhr mit Monika Kleebauer (Darstellerin, Autorin).
Anrufer war Klaus Kirchner (Schreiber, Übersetzer).
Kirchner: Das Stück heisst „Zwei Frauen falten sich“?
Grimm: Der Untertitel ist „Bewegt Altern“ und der ist uns auch wichtig.
Kirchner: Was bedeutet „Bewegt Altern“?
Grimm lacht: Das bedeutet unfassbar viel. Altern ist ja etwas, was wir alle machen – vom Moment unserer Geburt an.
Clancy: Du siehst alles in einem Körper. Wir müssen nicht ein Stück machen über „Frauen, die älter werden“. Auf der Bühne stehen die ganze Zeit über zwei ältere Frauen. Also erzählt alles was sie tun alles über dieses Stück. Wir müssen überhaupt nichts tun.
Kleebauer: Ich wollte nach sechs Jahren wieder Theater spielen. Miriam und ich wollten etwas zusammen machen. Wir wollten beide etwas mit Bewegung machen, weil wir beide aus einer Theatertradition kommen die körperorientiert war. Dazu kam das Thema „Älter Werden“. Und der Ansatz, den ich in der Theaterarbeit liebe: zu sagen: „Es geht nicht nur um meine individuelle Erfahrung, Bücher oder so etwas.“ Mich interessieren die Menschen um mich herum. So kam die Recherche in Interviewform dazu, mit der Befragung von Frauen über dieses Thema. Das gehört zu meiner künstlerischen DNA.
Kirchner: Erzählt Ihr mit dem Stücke eine Geschichte?
Grimm: Wir erzählen viele Geschichten, die uns die Frauen in den Interviews geschenkt haben. Zum Teil Geschichten von uns privat. Was sich mit Sicherheit auch erzählt ist die Geschichte über die zwei Frauen auf der Bühne: Monika und Miriam, die diesen Abend mit dem Publikum durchleben. Auch wenn das keine klassische Geschichte ist, erzählt sich die Beziehung und dadurch eine Geschichte.
Clancy: Was bedeutet Erzählen? Wie erzählt man? Wir haben mit unserem Dramaturgen Danilo Fioriti, während der dramaturgischen Werkstatt an der Frage gearbeitet: „Suchen wir einen theatralen Bogen für unser Stück?“ Ich möchte sagen: dieser Bogen, die eher traditionelle Geschichte einer Figur oder zweier Figuren: es gibt einen Konflikt und Dinge werden ein bisschen gelöst, es gibt die individuelle Reise, … EXISTIERT NICHT in diesem Stück.
Kleebauer: Unser gemeinsamer Anspruch ist: „Es jeden Abend ganz neu zu erleben.“ Die Arbeit mit Liam fördert die Fähigkeit „sich selbst zu behalten“, also so eine Präsenz zu haben, dass wir in dem Moment wo wir auf der Bühne stehen SIND. Wir haben in diesem Sinne keine Figuren. Auf der Bühne stehen „Miriam“ und „Monika“. Nicht „Miri“ und „Moni“, aber „Miriam“ und „Monika“. Wir stehen auf der Bühne, sind aber gleichzeitig Repräsentantinnen aller Frauen, die uns etwas erzählt haben. Ich erzähle etwas von mir, wie ich das Älter Werden erlebe, dann sage ich aber auch: „Als mein Mann gestorben ist war er drei Tage tot und dann habe ich mich in unser Bett gelegt.“ Der Mann von Monika Kleebauer ist aber nicht tot.
Zwischen uns beiden, Miriam und mir, fällt auf der Bühne immer wieder die Frage: „Sag mal wie alt bist Du eigentlich?“ Miriam sagt am Schluss: „Ich bin 53 geworden – GEWORDEN – ja geworden und es war kein schöner Tod.“ Das Stück springt. Wir nennen das: „Ein persönlicher Abend aber kein privater Abend.“
Clancy: Einer meiner Lieblingsschriftsteller Lew Welch, ein Beat Poet aus den 60ern, schreibt in einem Essay über das Schreiben: „Beim Schreiben müssen wir treu sein. Aber was ist es dem gegenüber wir treu sein müssen?“ Wenn wir in diesem Stück allen Interviews gegenüber treu sein müssten, wäre es ein sehr langes Stück und es wäre nicht sehr interessant 91 Seiten transkribierte Interviews zu hören. Aber Lew Welch meint „Als Künstler*innen müssen wir dem Gefühl der Welt gegenüber treu sein, dem ‚Wie es sich anfühlt in der Welt zu sein‘. Diesem Gefühl gegenüber müssen wir treu sein.“ Für mich macht unser Stück genau das: es ist ein bescheidener Versuch treu zu sein dem „Wie es sich anfühlt in einem Körper zu sein der altert“.
Grimm: Ich finde das gerade so eine spannende Spielerfahrung. Es ist zum ersten mal, dass ich so arbeite. Dass ich nicht den Schutz der Figur habe. Dass eine „Purheit“ auf der Bühne ist – oder sein soll. Ich finde es total spannend, weil ich das Gefühl habe: Unsere Zeiten verlangen nach Begegnung. Gerade habe ich eine Sehnsucht danach, dass Theater nicht von der Bühne herunter eine Geschichte erzählt. Bei „Zwei Frauen falten sich“ wird jeder Abend anders sein, weil wir uns noch einmal mehr preiss geben und noch einmal mehr Beziehung zwischen uns und dem Publikum entsteht als bei anderen Theaterabenden.
Kirchner: Improvisiert Ihr alles?
Kleebauer: Wir haben uns auf etwas geeinigt, was wir „Insel Floß Modell“ nennen. „Inseln“ sind Sachen, die fest sind, fest geformt, fester Text. Beim „Floß“ wissen wir so ungefähr worum es geht, es kann aber jedes mal ein bisschen anders sein. Manchmal – am Anfang etwas mehr, jetzt weniger – gibt es auch „das Meer“, wo wir zusammen schwimmen und nicht genau wissen wo wir gerade sind – schaffen wir es wieder auf ein Floß oder eine Insel zu kommen?
Clancy: Das Bild „Improvisation“ und sein Gegenteil „alles gesetzt/fixiert“ taucht da bei mir auf. Dazu ein anatomisches Beispiel: mein rechtes Schultergelenk ist komplett fixiert. Das ist es was es ist. ABER in dieser Limitation, in dieser Form, kann ich spielen. Das ist eine Metapher für unseren Prozess und unsere Beziehung zur Improvisation. Viel von diesem Stück ist komplett fixiert. Und es gibt auch viel Raum zu spielen und etwas neu zu finden.
Aus meiner Erfahrung als Erwachsener heraus heisst „Bewegung“ auch: was schliesslich kommt ist Wiederholung. Ich fahre zwei mal in der Woche nach Germersheim und wieder zurück. Ich sitze als Feldenkrais Practitioner auf meinem Hocker und arbeite mit Leuten auf meinem Tisch. Gleicher Raum, gleicher Zeitraum, gleicher Fahrweg und so weiter. Ich gehe jeden Abend in mein Bett in meinem Schlafzimmer. Wiederholung.
In dem Stück, das wir machen, gibt es Dinge die gesetzt sind und die wir wiederholen. Und es gibt immer Raum und meistens – wie bei Feldenkrais, und ich denke in jeder Kunstform – gibt es die eigene Wahrnehmung die den Unterschied ausmacht. Auf was du achtest verändert alles. Es gibt den Raum damit du auf verschiedene Dinge in einer Szene achten kannst, und das verschiebt das Gefühl der Szene.
Grimm: Was wir im Moment machen ist ein Probieren im wahrsten Sinne des Wortes. Ich habe es noch in keiner Produktion so sehr als „Ausprobieren“ empfunden und „gemeinsam den Weg suchen für eine gemeinsame Arbeitsweise“. Auch das ist „Bewegung“. Ich bin total zufrieden und ich bin dankbar, dass wir das ausprobieren. Für mich gilt das auch auf einer höheren Ebene: Dass unser Theater sich da bewegt. Wir können können nicht in 40 Jahren noch das Theater machen, was wir vor 40 Jahren gemacht haben. Ich will auf jeden Fall mich weiter entwickeln – auch da in Bewegung bleiben.
Kleebauer: Es ist für mich ein total schöner Prozess – weil es so lustig ist. Ich muss absolut viel lachen. Auch die Konstellation ist spannend: Ich bin 66 und die älteste, Miriam ist 44 also 22 Jahre jünger, Liam ist 55, und Marie, die die Ausstattung macht und die Regieassistenz, ist 24.
Kirchner: Wird das ein Frauenstück?
Grimm: Ich glaube die Titulierung „Frauenstück“ kommt aus einer bestimmten Zeit.
Frauen – oder weiblich gelesene Personen in unserer Gesellschaft – haben mit anderen Erwartungen zu kämpfen und zum Teil immer noch mit gesellschaftlicher Benachteiligung. Im Alterungsprozess sind für Frauen auch andere Themen gesellschaftlich relevant. „Altersarmut“ zum Beispiel ist sicherlich auch für Männer ein Thema, aber für viele alleinerziehende Frauen viel mehr. Oder: „Wie sexy muss man noch sein mit 40 – 60 – 80 Jahren“ ist für Frauen ein anderes Thema als für Männer. In sofern würde ich sagen: es ist ein Stück in dem wir viel über Erwartungen an Frauen sprechen, was Frauen bewegt. Aber das heisst nicht, dass nicht auch Männer damit einen grossartigen Abend haben können. Oder nicht-binäre Menschen oder wer auch immer.
Clancy: Es ist ein Paradoxon – oder ist es ironisch, dass wir ein frauenspezifisches Stück machen und die Regie macht ein Mann? Das riecht ein wenig wie Patriarchat? Ist das nun ein Zufall, dass ich die Tanzperson bin, die Monika und Miriam für das Stück brauchen? Zufällig bin ich ein Mann. Aber ich glaube, dass sich Männer und Frauen im Thema „Bewegung“ treffen können.
Kleebauer: Zu meiner künstlerischen Biografie gehört dazu, dass ich schon ganz früh damit angefangen habe mit Frauengruppen Theater zu machen.
Clancy: Ein wichtiges Thema für mich beim älter Werden ist der Tod. In diesem Stück – und das war mir ganz wichtig – machen wir relativ früh Platz für den Tod. Miriam und Monika, nur zwei Stühle in der Mitte der Bühne, wir machen Raum für den Tod. Der Tod kommt. Wir machen die Tür auf oder das Fenster auf und lassen den Tod hereinkommen – ganz nah. Und deshalb: einerseits ist es 100% ein Frauenstück und andererseits ist es ein menschliches Stück. Für mich hat es damit zu tun, dass der Tod immer ganz nah ist. Alle – Frauen, Männer und alle dazwischen – sind da. Tod ist immer nah. Ein menschliches Stück. Aber nicht nur Tod, auch Leben, Lust, Trauer, ein Stück auf der emotionalen Ebene.
Kirchner: In dem Workshop mit den Frauen hat es Feldenkrais-Praxis gegeben, von den Darstellerinnen habe ich gehört, dass die Proben jeden Tag mit Feldenkrais beginnen. Warum?
Clancy: Tanz, oder Tanzimprovisation hat meiner Erfahrung nach zu tun mit einem Zustandswechsel. Wir fangen täglich an mit: „ich fahre auf meinem Fahrrad, ich mache meinen Plan, ich komme in den Proberaum“ – unser normaler Alltag, unsere Muster, Bewegungsmuster, unser Zustand, unsere Ideen – und dann brauchen wir eine Brücke, einen Übergang in die Körper-Intelligenz. Und für mich geht das über „Bewusstheit durch Bewegung„, also Feldenkrais. Feldenkrais ist ein Lern-System und was man in Feldenkrais lernt ist für mich – wie in der Kunst /im Theater /im Tanz: die Überlagerung zwischen diesen Feldern – dass ich über mich selbst etwas lerne. Monika, Miriam und Marie lernen nicht VON mir, ich lerne nicht VON ihnen, wir steigen in einen Prozess ein und lernen von dem Ding, das wir machen. Das ist die Macht der Kunst: die Arbeit die du tust lehrt dich.
Kleebauer: Die Zwischenräume zwischen Wirbeln, die Zwischenräume in der Bewegung, die Pausen. Das ist für das Theater in Bewegung sehr spannend. Liam arbeitet in Feldenkrais viel mit dem Falten: Arme falten sich, Beine falten sich, entfalten sich. In einer kokreten Körperlichkeit. Ich merke dadurch dass wir uns im Stück viel bewegen und tanzen, dass die Feldenkrais-Arbeit mich durchlässiger macht.
Kirchner: Seid Ihr immer einer Meinung?
Clancy: Leslie Seiters, eine Tänzerin und gute Freundin, mit der ich trainiert habe, sagte: „agree to collaborate, refuse to obey“ (in etwa:“Ja zur Zusammenarbeit, Nein zum Gehorsam“). Das ist auch unser Motto. Wir stimmen nicht immer überein und widersprechen uns manchmal sehr deutlich. Aber es fühlt sich nicht verletzend an.
Die individuelle Arbeit bei Feldenkrais heisst „Funktionale Integration“. Das Wort „Integration“ ist wichtig. Und das wichtigste zu wissen ist: Wenn sich etwas wirklich integrieren soll, muss jeder Teil der integriert wird seine Integrität behalten. Ich behalte meine persönliche Integrität: ich ändere mich nicht um mich einzupassen. Deine Schulter wird nicht deine Hüfte. Deine Hüfte und deine Schulter bewahren jeweils ihre Integrität. Und weil sie ihre Integrität bewahren können sie integriert werden.
Kirchner: Danke, das wars.