„Joy, sind Sie es?“
„Ja, hier Joy. Wer ist da? Nummer unterdrückt steht auf meinem Display. “
„Meidner! Sie erinnern sich! Ihr Praktikum in meinem Seniorenheim?“
„Ja, danke für den Mindestlohn.“
„Seien Sie nicht unverschämt, Joy. Sie erinnern sich an meine kleine Bitte!“
„Ja, Sie brauchen Bilder auf denen die Bewohnenden FFP2-Masken tragen, und auf den Bildern soll es keine Anhaltspunkte für das Datum der Aufnahme geben.“
„Sagen Sie so etwas nicht am Telefon!“
„Sie haben mich doch angerufen!“
So ungefähr hat mir Joy das Telefonat mit Meidner nacherzählt. Krank. Warum sie mir das erzählt hat? Keine Ahnung. Joy hat mich im Internet gefunden – über diese Kolumne hier, die ihr gerade lest. Im Grunde ist Herr Feuermacher an allem schuld. Und dann hat sie mir einen Kommentar geschrieben und dann noch einen und dann noch einen. Ich konnte sie gar nicht so schnell weglöschen, wie es gut gewesen wäre. Sie wollte nach Wien kommen und im Seniorenheim forschen. Ja, FORSCHEN hat sie gesagt. Sie muss eine BACHELORARBEIT schreiben und studiert GENDERSTUDIES in Basel. Frag mich nicht was das sein soll und wo das sein soll. Ist irgendwo in der Schweiz. Wieso die nach Wien kommt? Weil ihre Eltern im ersten Bezirk eine Eigentumswohnung haben und wollen, dass jemand ab und zu in der Wohnung lebt. Damit niemand auf die Idee kommt: da wär Platz für Ukrainerinnen. Und wieso Seniorenheim? Weil Joy eine FELDFORSCHUNG ZUR GENDERPRÄGUNG VON MENSCHEN, DIE 1968 AKKULTURIERT WURDEN machen will. Auf English. Angeblich waren von den Seniorenheim-Insassen 1968 einige so um die 18 bis 20 Jahre alt. Woher sie das weiß? Was das alles soll? Keine Ahnung. Wir haben uns dann mal in Wien getroffen. Nice. Wusste nicht ob sie ein Typ war oder nicht. Sie meinte NONBINÄR. Krank irgendwie. Aber zur Eigentumswohnung ihrer Eltern gehört ein Zimmer im Dach. Da könnte ich erst mal wohnen, bis ich etwas anderes gefunden hätte. Über Geld reden wir wann anders.
Hätte ich sie daran hindern können mit zu den Alten zu gehen? Wahrscheinlich. Aber wozu? Herr Feuermacher ist schuld.
Sie hatte etwas vor.
„VOSALTRES NO M’ENTENDEU!“ schrie der mit dem Bart als wir durch die Tür in den Speisesaal kamen.
„VOSALTRES NO M’ENTENDEU!“
„Jesus! Hör auf zu Schrein!“ schrie die mit dem Lächeln.
„JESUS!“ schrie Olia.
„PERQUÈ NO PARLEU LA MEVA LLENGUA“ schrie der mit dem Bart zurück.
Ich wollte sofort wieder gehen, aber Joy hielt mich am Arm fest.
Joy zu Olia: „Was hat der Mann?“
Olia: „Er hat sein Spanisch vergessen. Erst hat er aufgehört Deutsch zu reden und dann Spanisch. Ich kann nur Spanisch und nicht die Sprache, die er jetzt spricht. Das …“
„IMMACULATA! IMMACULATA!IMMACULATA!IMM…“
Olia schlägt dem mit dem Bart ins Gesicht. Er hört auf zu Schrein und weint. Die mit dem Lächeln gibt ihm zwei Papiertaschentücher.
Joy zu Olia: „Ihr seid ganz schön hart drauf.“
Olia zu Joy: „Das sieht nur so aus. Wir lieben uns. Wenn du nicht zuschlägst kommt der nie mehr aus seinem Schreikrampf. Er fängt an seine Frau zu rufen. Die ist tot. Schreien bringt sie nicht her.“
Mit der Stille kommen acht Alte mehr in den Speisesaal. Sie hatten sich auf den Toiletten versteckt.
Joy: „He Leute. Ich bin Joy. Und jetzt machen wir cooles Gedächtnistraining. Passt mal auf: Ich spiele Euch ein Lied vor und jedes mal wenn ihr Mustach hört zieht Ihr Euch eine dieser bunten Masken vors Gesicht. Mustach heisst Bart. Schaut mal, ich hab Euch viele bunte Masken mitgebracht. Probiert die doch gleich mal an.“
Sie leert aus einem Plastiksackerl verschiedenfärbige FFP2-Masken auf die Tische. Rosa, blau, schwarz, gelb, grün, weiß, rot, violett, gold, silber, dunkelblau, rosa.
Olia und die mit dem Lächeln beobachten sie skeptisch.
Joy holt ihr Wischtelefon heraus und gibt es mir: „Los, spiel Moustache, Philippe Katerine, 2011. Is ganz oben aufm Display.“
Ich mache das was ich immer im Seniorenheim mache. Diesmal für Joy. An irgendwen erinnert die mich. An irgendwen.
Mustach kommt in dem Lied ganz schön oft vor. Ein paar von den Alten halten sich ab und zu eine Maske vors Gesicht, aber niemand zieht die Gummis über die Ohren. Joy fotografiert ohne Blitz mit einer Kamera, die sie dabei hat.
„Is okay, den Rest macht Fotoshop.“ sagt Joy, als das Lied abgespielt ist. Richtig getanzt hat niemand. Nicht einmal Joy, die das Lied vorgeschlagen hatte.
Olia: „Das hilft Jesus nicht.“
Die mit dem Lächeln: „Das Lied hat er auch nicht verstanden. Er weint schon weniger. Bald fängt er wieder an zu Schreien.“
Olia zu mir: „Kannst Du ihm nicht helfen?“
Ich: „Wie soll ich das machen?“
Olia: „Wenn seine Tochter käme und nicht der da.“ Sie zeigt auf Joy.
Die mit dem Lächeln: „Seine Tochter ist in Mexiko. Er hat immer gesagt, dass sie ihn abholen kommt. Jetzt wäre der richtige Moment dafür.“
Olia: „Ja, jetzt wäre der richtige Moment zum Abholen.“
Ich: „Aber wie soll ich nach Mexiko?“
Joy: „Der macht das. Nemuszáj macht das. Er fliegt morgen nach Mexiko. Ich spendier ihm den Flug. Kein Problem, kein Problem. Glaubt an Nemuszáj.“
Als sie mich durch die Tür wieder hinaus auf die Strasse schiebt sagt Joy mir ins Ohr: „Es gibt jeden Tag jede Menge Billigflüge nach Mexiko-City. Ich buch Dir einen. Über Geld reden wir wann anders.“
Ich frage mich was Maresi dazu gesagt hätte.
Bis zum nächsten mal, eurer Miklós Nemuszáj