Aus dem Seniorenheim 9.

Ein Blindgänger von Nikkolo Feuermacher gezeichnet. Alle Rechte vorbehalten 2017

Bild: Nikkolo Feuermacher

Hallo – ist da Nemuszáj?
Ja, das ist mein Wischtelefon.
Wie ist Dein vollständiger Name?
Miklós István Attila Nemuszáj.
OK, M.I.A. Anastasiia hat gesagt Du brauchst Geld.
Kenne keine Anastasiia.
Anastasiia Bereza vom Pensionistenheim.
Keine Anastasiia Bereza und kein Pensionistenheim.
Klick.
Nach drei Minuten fünfzehn brummt mein Wischtelefon schon wieder.
OK, Alter. – Nemuszáj. Olia sagt Du brauchst Geld. Sie sagt Du arbeitest in dem Seniorenheim, wo sie mit ihrer Schwester lebt. Bist Du das, Mann? Oder brauchst Du nix?

Ja, sorry, Seniorenheim. Da hab ich nen Job. Aber da sind keine Pensionisten. Die Leute da bekommen nichts das man Pension nennen könnte. Es ist ein städtisches Seniorenheim.
Hey, hast du studiert, Alter? Oder bist du ein Radio?
Rufst DU mich dauernd an? Oder ich dich?
Mann, du hast einen Job! Die wollen, dass du denen einen Song mitbringst und ein Sackerl, das ich dir gebe. Holst Du das ab?
Welchen Song?
7 Seconds, Youssou N’Dour featuring Neneh Cherry, 1994.
OK.
Holst du das Sackerl? Die freun sich ur drauf.
Was gibst du mir?
100 Euro in einem Schein, grün.

Ich fahre mit dem Bus ewig weit durch Simmering. Dann joggen durch zerbrochene Glashäuser. Dann steht da ein Typ mit einer sehr dicken und sehr bunten Strickmütze auf dem Kopf, der auf mich wartet.
Strickmütze: „M.I.A. Nemuszáj?
Ich: „Yuçel?
Strickmütze: „Wie heisst meine Tante im Seniorenheim?
Ich: „Anastasiia Bereza.
Strickmütze: „Hier hast Du das Sackerl für sie, Rotkäppchen. Lass Dich unterwegs nicht vom bösen Wolf sehen.“
Er gibt mir ein Plastiksackerl, dass ich mir unter die Jacke stecke.
Strickmütze: „Tante Anastasiia gibt dir deine Belohnung im Pensionistenheim.
Ich: „Im Seniorenheim meinst du?
Strickmütze: „Du hast wirklich studiert, Mann. Ich sehs.
Er sieht mir nach wie ich zwischen den zerbrochenen Glashäusern verschwinde.

Im Seniorenheim will dann natürlich niemand Anastasiia heissen. Zwei mit dicken Zöpfen kichern, einer tropft was aus dem Mund als sie mich zahnlos angrinst.
Parkinson: „Hast Du was für uns dabei Nemuszáj?
Ich: „7 Seconds.
Maresi: „Ja dann – kann ich mein grünes Zetterl stecken lassen.
Ich zieh das Sackerl raus und leg es auf den Tisch. Parkinson leert es aus: vier Tablettenblister und ein kleines Sackerl mit zweifärbigen Kapseln. Olia zieht eine Schere aus der Tasche. Maresi schiebt mich weit weg zur Tür und steckt mir einen Hunderter in den Hosensack. Es wurlt am Tisch wie wenn man Futter in einen Forellenteich wirft. Plötzlich sind alle ganz schnell und ganz da. Dann ist der Tisch leer – wie frisch gewischt.
Der mit dem Bart kommt auf mich zu und drückt mir die Hand ein wenig zu fest.
Ich: „Wie heisst Du?
Der mit dem Bart: „Me llamo Jesús Gómez-Arabal para servir a Dios y a usted.
Olia zu mir: „Er heisst Jesus.
Ich: „Was ist das jetzt für eine Sprache?
Olia: „Español mi señor.
Die im Rollstuhl: „Hättest Du das gewusst? Nein — für Dich ist das hier kein Gedächtnistraining sondern fehlende Allgemeinbildung.
Der mit dem Bart hält immer noch meine Hand zu fest.
Ich: „OK, let go!
Olia: „Er hat Dich gern. Seit seine Frau Immaculata tot ist, ist er hier im Seniorenheim.
Der mit dem Bart: „Aber meine Tochter wird aus Mexico kommen und mich abholen! Jeden Tag warte ich auf sie!
Ich: „Und wie heisst die Tochter?
Olia: „Maria natürlich.
Ich: „Und wenn Maria dich abholt, lässt du meine Hand los?
Der mit dem Bart lässt meine Hand los und geht.
Olia: „Sie wird ihn abholen – jeden Moment.
Maresi: „Bevor alle auf ihre Zimmer gehen, Miklós, spiel uns das schöne Lied.
Ich drücke ab: 7 Seconds, Youssou N’Dour featuring Neneh Cherry 1994
Ein paar weinen beim Tanzen, aber es gefällt ihnen.

Bis zum nächsten mal, euer Miklós Nemuszáj

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert