Klaus Kirchner spricht mit dem weltweit engagierten Künstler Stuff B. Klier (Eine-Welt-Villa, hand werk zeug, KoK u.a.) über ein Demokratie-Werkzeug: den Rat. Der Rat ist dabei nicht eine ehrwürdige Person, sondern eine Gruppe von Menschen, die sich gemeinsam berät und gemeinsam Entscheidungen trifft. Geloste Räte können in Ländern, aber auch in Vereinen und anderen gemeinschaftlichen Strukturen demokratisierend wirken.
Der letzte Bürgerrat in Deutschland fand vom 13. Januar 2021 bis 20. Februar 2021 online statt. Hier mehr dazu.
Anlass zum folgenden Gespräch ist der am 23. Oktober 2020 erschienene Film über den ersten Bürgerrat in Deutschland (verlinkt hinter diesen Worten) von Mehr Demokratie.
Stuff: Ich gehe davon aus, dass Dir der Film gefallen hat?
Klaus: Also gehe ich davon aus, dass er Dir nicht gefallen hat?
Beide lachen
Klaus: Ich fand den Film interessant. Das Thema ist wichtig.
Zunehmender Hass in der Gesellschaft hat zum Beispiel zum Attentat in Wien vom 2. November 2020 geführt. Wenn mich jemand fragen würde: Wie ist so etwas möglich? Würde ich antworten: Es ist dadurch möglich, dass Menschengruppen völlig marginalisiert werden, sie nicht Mitreden dürfen und ihnen in der Gemeinschaft noch nicht einmal das Wahlrecht zugesprochen wird. Diejenigen aber, die sich in dieser Gemeinschaft zur Wahl stellen, beleidigen und kränken die Marginalisierten, hacken auf ihnen herum, weil ihnen das keine Wählerstimmen kostet. So wird Hass geschaffen.
Der Film oben zeigt den grossen Aufwand um die Idee der Demokratie anzuschieben.
In den USA sehe ich aktuell, dass Herr Trump auf keinen Fall Demokrat ist und auch seine Wähler und Wählerinnen Demokratie nicht verstehen. Nach den bürgerkriegsähnlichen Zuständen zum Stichwort Black Lives Matter, könnte die aktuelle Stimmung in den USA leicht wieder Richtung Gewalt kippen, wenn die Akzeptanz von Demokratie nicht zunimmt.
Mir scheint es wichtig, dass überall etwas getan wird um Demokratie zu stärken.
Stuff: Die Statthalterin der Intiatorinnen und Initiatoren des Bürgerrats, …
Klaus: … Claudine Nierth, die Sängerin wenn Mehr Demokratie eine Band wäre, ist im Film oft zu sehen. Ich bewundere ihren langen Atem und ihr Durchhalten bei dem langsamen Prozess, der beschrieben wird. Weitere Promis im Film sind zwei alte Männer, anerkannte Politiker etablierter Parteien, von denen einer sagt: “Wenn sich nicht einmal mehr Menschen bereit erklären in ihrer Gemeinde Gemeinderat oder Gemeinderätin zu werden, dann muss für die Demokratie etwas getan werden.“
Bei meiner Diskussion nach dem Film war jemand enttäuscht, weil über die Technik …
Stuff: … wie es mit dem Bürgerrat funktioniert …
Klaus: … nichts erklärt wurde: Wie waren die Gesprächsrunden moderiert? Wer stellte die angeschriebenen Fragen? Wie verliefen die Abstimmungen? Warum immer die gleichen Gesichter im Bild, immer anteilsmässig mehr Männer, die sich äußern, …
Es war eine Entscheidung der Filmemachenden sich auf eine Auswahl von Individuen zu konzentrieren. Vielleicht wird mir so ein Geheimnis der Demokratie erklärt: mit Leuten, die ich nicht wirklich sympathisch finde, die aber irgendwo alle einen sympathischen Anteil haben, sich zusammensetzen und ins Gespräch kommen.
Stuff: Was mir am Film gut gefallen hat war die Entwicklung der Menschen, die portraitiert werden. Vor allem die Nürnbergerin. Sie hatte viele Erfahrungen mit Benachteiligung, Erfahrungen mit Parteien, Neugier sich mit Politik auseinander zu setzen. Wie sie dann am Ende des Films in der Runde sprach, war da ein gutes Potential. Das Maulende, Ohnmächtige war weg. Zuhören, einen Gesprächskreis haben in dem wirklich ernsthaft gesprochen wird, das hat ihr offensichtlich geholfen. Es ist gut wenn solche Gespräche moderiert werden, denn sie sind eine Übung für alle Beteiligten. Wo findet sonst so etwas statt? Es ist so wie: wenn Du mit jemandem schwimmen gehst, der bisher nur mit den Füssen im Wasser war. Der nur Aussen um den Pool laufen durfte. Und plötzlich wird dieser Person gesagt: das ist jetzt Dein Pool. Schwimmen muss erst einmal gelernt werden.
Der Film zeigt mir einen zaghaften, deutschen Versuch der Demokratisierung. In dem Film erklären Historiker die faschistische Machtübernahme in den 1930er Jahren mit Hilfe von Volksabstimmungen. Typisch German: Danach lieber gar nichts tun, denn die Gefahr geht von der Volksabstimmung aus.
Beide lachen
Stuff: Was für eine lustige Idee.
Was ich über Irland weiss, waren die Menschen dort viel mutiger mit der Umsetzung des Bürgerrats zu den Abtreibungsgesetzen. Wenn eine Regierung sagt: „Wir nehmen den Vorschlag des Bürgerrats und stellen ihn in einer Volksabstimmung zur Abstimmung“, dann ist das eine Art der Machtverwaltung, in der die Rolle des Kaisers nicht vorkommt.
Klaus: Bei der Volksabstimmung zu Zwentendorf 1978 haben die Bürger und Bürgerinnen Österreichs gesagt: „Wir wollen kein Atomkraftwerk!“ Das hätten damals wahrscheinlich alle Bürgerinnen und Bürger der Welt gesagt – wenn sie gefragt worden wären. Der damalige österreichische Kanzler, der die Abstimmung mit der Drohung beeinflussen wollte: „Wenn ihr kein Atomkraftwerk wollt, dann trete ich zurück!“, ist danach nicht zurückgetreten. Er konnte seiner Drohgebärde wieder entwischen. Aber zurück geblieben ist die Angst der österreichischen Politiker: Ich kann nicht die Macht aus dem Sack lassen und sie dann wieder zurück holen.
Stuff: Es ist bezeichnend, dass die deutschen Politiker Beckstein und Schäuble (CSU und CDU) den Prozess mittragen. Fast schon ausgeschiedene Politiker, die ihr Scheitern am politischen System zwar nicht so benennen, aber jetzt den Prozess der Demokratisierung fördern wollen. Mir gefällt, dass dieser Bürgerrat in Deutschland überhaupt existiert hat und die Zuschauerinnen und Zuschauer des Films menschlich mitgehen können. „Wow – Was findet da statt?“ Das sind für Deutschland unerhörte Bilder. Eine vom kaiserlichen Stab mitinitiierte Geschichte. So klein sie auch ist. Der Film bestätigt mich in meiner Einschätzung, dass das Losverfahren wichtig ist: Gib jemandem Verantwortung und die Verantwortung wird angenommen. Es gibt keine Menschen – schon gar nicht Politiker und Politikerinnen – die dafür besonders geeignet wären.
Klaus: Meine jüngsten Vereins-Erfahrungen führen mir vor Augen: die Menschen, die gerne im Vorstand sein möchten sind diejenigen, …
Stuff: … die nie gewählt werden dürften, …
Klaus: … das sind die Menschen, die sich mit Intrigen, Machtspielchen und Manipulation gut auskennen, aber keine Verantwortung übernehmen.
Stuff: Wenn Menschen per Los Verantwortung zukommt, müssen die sich überlegen: Wofür übernehme ich Verantwortung? Sie müssen sich fragen, mit anderen, gleichgestellten kommunizieren. Wenn ich dagegen jemanden einsetze, der sagt: „Ich kenne mich aus! Ich habe die Verantwortung!“ ist das etwas anderes. Wenn letzterer nachfragen würde „Wie geht das überhaupt?“ würde er seinen Status verlieren und nicht mehr Kaiser sein dürfen.
Klaus: Ich kann mir vorstellen: Wenn die aktuellen Corona-Bestimmungen über einen Rat geregelt werden würden, dann würden da Menschen sitzen, die zweifeln, fragen, beobachten, ausprobieren DÜRFEN. Wenn aber Machtpolitiker ihre Entscheidungen verkünden: „Das ist jetzt verboten und das erlaubt!“, müssen sie ihre eigene Inkompetenz immer verstecken. Dadurch wirken sie unglaubwürdig, manchmal wie trotzige Kinder. Deshalb werden ihre Vorschläge auch nicht ernst genommen. Ich habe nicht das Gefühl: „Alle bemühen sich gemeinsam um eine Lösung für alle.“
Stuff: Der Film unterstützt mich in meiner frechen Haltung, dass ich an die Weisheit aller Menschen glaube.
Klaus: Die muss geübt werden. Es gibt leider kein Lebensfeld: nicht in der Familie, nicht in der Schule, nicht in der Arbeit – wo Übungsräume existieren in denen demokratisch miteinander umgegangen wird.
Stuff: Demokratisch miteinander umgehen – was bedeutet das? Wenn ich in einer Legebatterie den Hennen sage: Jetzt könnt ihr mitreden?
Das erneute Eskalieren der Covid-19 Pandemie in China im Jänner 2021, siehe:
https://covid19.who.int/region/wpro/country/cn
zeigt: die Abwesenheit von Demokratie und Menschenrechten hilft nicht dabei die Ansteckungen aufzuhalten. Es ist eher so, dass diejenigen, die gerne friedlich und wertschätzend mit Menschen umgehen, das jederzeit tun können (siehe Schweden) – während diejenigen, welche Menschenrechte und Demokratie abwerten wollen, immer einen Grund dafür finden. Unabhängig von jeder Realität.
„Man werde immer einen Verfassungsjuristen finden, der Bedenken äußert“ sagt der regierende österreichische Bundeskanzler Kurz in der „ZiB 2“ im ORF am 30.12.2020.
zitiert nach:
https://www.derstandard.at/story/2000122867335/freitesten-kurz-spricht-ueber-details-zur-regelung
Ein überzeugter Demokrat scheint auch dieser Mann nicht zu sein.
Die Verhältnisse in den USA sind am Dreikönigstag (6.1.2021) tatsächlich eskaliert. Siehe: https://taz.de/Chaos-in-Washington/!5742460&s=capitol/
Dieser Tag zeigt wie weit die Inakzeptanz von demokratischen Verfahren in den USA gedien ist. Herr Trump sagt in seiner Abschluss-Ansprache über Videobotschaft an die Sturmgruppen: „Go home now. We love you!“ Mit diesem Pluralis Majestatis hält sich der Präsident (das ist er noch immer als er das sagt) gewaltbereite Demokratiehasser in liebevoller Nähe – bis zum nächsten mal.
„Deutschlands Rolle in der Welt“ – das ist das Thema des zweiten deutschen, gelosten Bürgerrats, der mit 160 Beteiligten zwischen dem 13. Januar 2021 und dem 20. Februar 2021, komplett online stattfinden wird. Der deutsche Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble hat die Schirmherrschaft übernommen. Wie der Bürgerrat Demokratie von 2019 (siehe Film oben), wird der Bürgerrat 2021 initiiert, finanziert und organisiert von Mehr Demokratie. Vorarbeiten und Auslosung haben bereits stattgefunden. Hier mehr Informationen: https://deutschlands-rolle.buergerrat.de/
Am Vormittag des 22. November 2020 hat die deutsche Partei „Die Grünen“ auf ihrem digitalen Parteitag die direkte Demokratie aus ihrem Grundsatzprogramm gestrichen. 40 Jahre nach ihrer Gründung hat die Partei die Forderung nach einem bundesweiten Volksentscheid aus ihrem Programm wieder HERAUSGENOMMEN. Schade.
Die deutschen Grünen haben auf ihrem Parteitag 2020 in wichtigen Fragestellungen, z.B.:
Bedingungsloses Grundeinkommen, Demokratisierung, Medizinische Versorgung,
die Positionen der CDU/CSU übernommen. Die CDU/CSU ist inzwischen auch irgendwie gegen Atomkraftwerke und für blühende Landschaften. Bei den Bundestagswahlen in Deutschland 2021 wird es also eine rein esotherische Frage sein wen ich da wähle. (Ich darf da wählen, denn ich habe einen deutschen Pass.)