Gender Mainstreaming an der Schule
Mit Klaus Kirchner sprach Nikkolo Feuermacher.
Feuermacher: Herr Kirchner, gibt es eine ‚Feminisierung des Bildungssystems‚?
Kirchner: Was es gibt, sind höhere und weiterführende Schulen, an denen der Anteil von Jungen – Burschen/ Knaben/ Buben/ jungen Männern – an den SchülerINNEn kontinuierlich abnimmt. Dort schrumpft der Prozentsatz an Männern im Lehrerkollegium und bei den MitarbeiterINNEn. Ebenso reduziert sich die Zahl männlicher Absolventen und deren durchschnittliche Qualifikation. Der Notendurchschnitt der Abschlusszeugnisse männlicher Schulabgänger hat sich gleichfalls deutlich verschlechtert.
Feuermacher: Da läuten die Alarmglocken des ‚Gender Mainstreaming‚?
Kirchner: Ja, denn hier scheint eine Gleichstellung der Geschlechter nicht mehr gewährleistet.
Feuermacher: Sie und ihre Initiative möchten sich mit der Umsetzung von EU-Richtlinien1 beschäftigen?
Kirchner: Die EU-Richtlinien vom Gender Mainstreaming sind bereits in vielen Landesgesetzen entsprechend umgesetzt. Wir fragen, ob eine effektiven Gleichstellung an weiterführenden Schulen gewährleistet ist. Beziehungsweise – wenn dies nicht mehr der Fall wäre – mit welchen konkreten Schulentwicklungs-Maßnahmen Gleichstellung hergestellt werden könnte.
Feuermacher: Haben Sie denn belastbares statistisches Material, um die Benachteiligung von jungen Männern zu belegen?
Kirchner: Sie können gerne eine breite Recherche dazu machen oder einen Forschungsauftrag dazu vergeben. Das ist allerdings nicht unsere Aufgabe. Wir reagieren auf konkrete Anfragen und Rückmeldungen. Da geht es zum Beispiel um zertrümmerte Toiletten, um zunehmende Gewalt unter Buben, um Bildungseinrichtungen, die sich ungewollt in Mädchenschulen verwandeln mit einem fast rein weiblichen Kollegium. Uns geht es darum, Lösungen und Strategien zu entwickeln, die Geschlechter-Gleichstellung an Schulen bewirken können. Unser Ziel ist nicht die Beobachtung einer Statistik.
Feuermacher: Das hört sich an wie ein Kampf gegen Windmühlen?
Kirchner: Das wird es nicht werden. Wir denken an ein modellhaftes Projekt, bei dem auf unterschiedlichen Ebenen an einer Schule gearbeitet wird.
Feuermacher: Welche Ebenen?
Kirchner: Leitbildentwicklung, Arbeit mit den PädagogINNen, Angebote für MitarbeiterINNEN im Schulbetrieb – da sind zum Beispiel auch die Hausmeister wichtig und die Damen im Sekretariat. Es geht um Workshops in gemischten Klassen und um Workshops mit Burschen.
Feuermacher: Und am Ende steht was? Die perfekte Schule?
Kirchner: Wir entwickeln Werkzeuge für die Steuerung von Geschlechter-Gerechtigkeit an Schulen. Am Ende unseres Projektes steht etwa eine Dokumentation, ein Handbuch, ein Blog, eine DVD, … – Anregungen, um von unserer Arbeit zu lernen und sie weiter umzusetzen. Das Projekt wird im Prozess ausgewertet, Prozess- und Ergebnisevaluierung finden parallel statt.
Feuermacher: Ich vermute, Sie basteln an einem neuen Männer- und Frauenbild? Ist das Männerbildung was Sie vorhaben?
Kirchner: Das Männer- und Frauenbild an Schulen ist heterogen. Zwischen den SchülerINNEN herrscht Heute eine hohe Diversität, auch kulturell. Das Projekt wird mit einem Ansatz von Diversity Management arbeiten, der Gender als einen grundlegen Teil von Diversität begreift.
Feuermacher: Und das vermitteln Sie SchülerINNEN?
Kirchner: Ja. Jugendliche mit Migrationshintergrund – zum Beispiel aus der Türkei oder Russland – haben andere Vorstellungen von Geschlechterrollen. Es gibt kein homogenes Männer- oder Frauenbild. Das ist der Ausgangspunkt für Gender Mainstreaming an der Schule, den es einzubeziehen gilt.
Feuermacher: Wie lange soll das Projekt laufen?
Kirchner: Im Augenblick stellen wir uns etwa drei Jahre vor.
1. Kontaktaufnahme mit und Bestandsaufnahme von den Zielgruppen und Schulen, Vernetzung, Adaptieren unseres Konzeptes an die konkrete Schule.
2. Einsetzen der Tools, Workshops, Arbeit mit verschiedenen Angeboten – und Auswertung.
3. Fortsetzung der Angebote, Evaluierung der Angebote aus dem Vorjahr – Wirkungsanalysen, Vergleiche, Weiterentwicklung der Tools – Publikation.
Feuermacher: Und wo, also in welchem Land, wird das stattfinden?
Kirchner: Beabsichtigt ist eine europäische Vernetzung während der Projektarbeit. Im Augenblick ist noch Verhandlungssache, ob wir in Deutschland oder Österreich anfangen, ob wir ProjektpartnerINNEN aus Italien, Frankreich oder der Türkei mit einbeziehen können.
Feuermacher: Welche Organisation kann das denn umsetzen?
Kirchner: Wir denken bei der Arbeitsstruktur an ein Konsortium unterschiedlicher Organisationen
aus den Bereichen Schulentwicklung, Männerberatung, Gleichstellungsarbeit, Lehrerbildung, Theaterpädagogik, SchülerINNENarbeit. So kann es zu Synergien und breiter Vernetzung kommen, das bedeutet: Nachhaltigkeit, Ausstrahlung und Übertragbarkeit des Projektes werden gestärkt. Idee und Koordination kommen erst einmal aus unserem Team.
Feuermacher: Danke für die Vorab-Information. Ich bin gespannt, was passiert und werde Sie gerne nächstes Jahr noch einmal befragen.
[1Der Amsterdamer EU Vertrag Art. 3/2 von 1997, in Kraft getreten am 1.Mai 1999, sieht eine rechtlich verbindliche Gleichstellung von Männern und Frauen in der EU als durchgehendes Prinzip vor.]
[Klaus Kirchner M.A., Supervisor ÖVS/DGSv, Theaterpädagoge, diverse Beteiligung an EU-Projekten, seit 2003 Fortbildner in Gender Mainstreaming für Bildungseinrichtungen und Berufsverbände, seit 1998 Trainer in Diversity Management für Unternehmen und öffentliche Dienststellen, Schulentwicklung u.a. durch Gründungsbegleitung des Jena-Plan-Gymnasiums Nürnberg 2008/2009.]